Die neue sieben Schritt Methodik gehört auf den Prüfstand gestellt!


Schwäbisch Gmünd / Messe CONTROL Stuttgart – MBFG-Geschäftsführer Gert Irmler über den bevorstehenden Paradigmenwechsel im Risikomanagement

HAVLICKOVA: Herr Irmler, die bisherigen Messeauftritte Ihres Unternehmens fielen im Vergleich zu den wichtigsten Wettbewerbern auffällig bescheiden aus…
IRMLER: Nun, Schöpfergeist und Innovationskraft sind nicht an physikalische Größenordnungen gebunden.

HAVLICKOVA: An Ihren intellektuellen Fähigkeiten wollte ich nicht zweifeln, aber vielleicht fehlt es ja an Investorenkapital.
IRMLER: Über unsere Kapitalausstattung machen Sie sich einmal keine Gedanken. Nebenbei: Minimum fünf der größten Weltkonzerne sind aus sogenannten Garagenfirmen hervorgegangen. Es kommt also auf die richtige Lösung, das richtige Produkt zur richtigen Zeit an. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen gerne unsere Garage.

HAVLICKOVA: Ein anderes Mal vielleicht … Reden wir also über das MBFG-Produkt „CIMOS“. Was ist denn an dieser FMEA Software das wirklich Neue?
IRMLER: Anfang der neunziger Jahre wurde einem handverlesenen Personenzirkel aus erlauchten Großbetrieben die Aufgabe übertragen, ein neues FMEA-Konzept zu entwickeln. Was dabei herauskam, wissen wir. Der Weg war damals durch bereits existierende Programmkonzepte eines der beteiligten Automotive Tochterunternehmen vorgezeichnet. Dem erstaunten Publikum wurde diese pseudowissenschaftliche Sturzgeburt als „Fünf Schritt Verfahren“ präsentiert. Nach eingehendem Studium der „Schritte- Methodik“ mit ihren vielfach übers Ziel hinausschießenden Algorithmen haben wir uns in unserem bereits eingeschlagenen Weg mit CIMOS bestätigt gesehen und diesen weiter verfolgt.

HAVLICKOVA: Prima, nur beantwortet das meine Frage nicht …
IRMLER: Diese Vorrede ist aber wichtig, um den für CIMOS gewählten Aufbau zu verstehen. Die Kernthese der fünf Schritte, oder – neuerdings – „Sechs Schritt Methode“ stützt sich auf die tiefschürfende Hypothese, die Fehlerart der Fokusebene stelle die Fehlerursache der darüberstehenden Stufe dar. Diese epochale Eingebung ist so vordergründig wie suspekt. Denn die Ursachenidentifikation innerhalb der Design FMEA als Verfolgung von Fehlerketten nach unten, in Richtung der Einzelbestandteile, ist absolut uninteressant. Zu untersuchen sind stattdessen die kausalen Auslöser in Entwurf und Planung des Fokuselementes selbst. Und im Hinblick auf die Folgenabschätzung bringen Fehlernetze ebenfalls nur einen spärlichen Erkenntnisgewinn, weil sich Funktions- und Fehlerkreisläufe, sowie das Verhalten interagierender Komponenten in Form hierarchischer Pfeildiagramme gar nicht abbilden lassen. Dabei ist hier noch nicht einmal das Auftreten unerwünschter Risiken mit den von Funktionen unabhängigen Gefahrenszenarien, sowie das Ausfallverhalten im Zeitverlauf, unter Einwirkung menschlicher Faktoren oder wechselnder Umgebungsbedingungen berücksichtigt. Auf den Punkt gebracht: Fehlernetze imponieren insbesondere mit hohem Erstellungsaufwand. Wer das zugrundeliegende Kompendium zum „FMEA Alignment“ sorgfältig und unvoreingenommen liest, erkennt darin etliche Widersprüche, es bewegt sich mit Vollgas in die Sackgasse. Die Methode gehört nach leidvollen Umsetzungs- und Felderfahrungen mit KMU auf den Prüfstand gestellt.

HAVLICKOVA: Es handelt sich dabei immerhin um die Verbandsnorm einer der wichtigsten Industriebranchen. Sie zweifeln ernsthaft ein so prominentes Regelwerk an?
IRMLER: CIMOS lehnt die vielgepriesene Verknüpfung von Fehlfunktionen über Ebenen hinweg entschieden ab. Indessen wird das vielgeschmähte Arbeiten in den mittlerweile diskreditierten Formblättern, eingebettet in die Systemstruktur möglich.

HAVLICKOVA: Also mit Vollgas zurück in die Steinzeit?
IRMLER: Keineswegs. Worin begründet sich denn diese pathologische Aversion gegen Tabellenblätter?

HAVLICKOVA: Weil das Arbeiten darin eine Rolle rückwärts darstellt? In Formularen verliert sich der Anwender in unstrukturierten Denkprozessen, ohne Gesamtschau auf Zusammenhänge, „copy and paste“ eben, wie im guten alten Tabellenkalkulationsprogramm.
IRMLER: In den Bereichen DRBFM und HAZOP gelten sinnvoll aufgebaute Formulare nach wie vor als unangefochtene Instrumente der Wahl. Formblätter führen den Anwender systematisch durch die Bearbeitung der einzelnen Punkte. Die Spalte „System /Merkmale“ erlaubt zum Beispiel die saubere Auflistung der internen Bauteilfunktionen. Während im Netzsystem lediglich externe Funktionen miteinander verknüpft und im Anschluss unreflektiert ins Formular importiert werden. Erneut ein gravierender Mangel der „Sechs Schritte“, denn die Ableitung der Bauteilmerkmale und Fehlerarten hat bekanntlich von den internen Systemfunktionen auszugehen. Achtlosigkeiten, die inzwischen gar nicht mehr kritisch hinterfragt werden. Fehlerfolgen sind in der Tabellen-FMEA als Nächstes zu überprüfen. Dies ist auch vernünftig, gibt es dem Ersteller die Möglichkeit, gemäß der Bedeutung zu entscheiden, ob eine dazugehörige Ursachenanalyse den zu investierenden Aufwand rechtfertigt. Beim Fehlfunktionsnetz tritt der Überblick erst nach vollständiger Ausfüllung sämtlicher Einzelpositionen im Stile eines Totalsystems zutage.

HAVLICKOVA: Dafür ergibt sich dort im Anschluss ein Rationalisierungseffekt durch die Übernahme aller Daten aus den Bäumen in die FMEA Formulare.
IRMLER: Das Kindermärchen vom Funktions und Fehlernetz Weihnachtsbaum, bei dem – nach aufwendigem Ausschmücken mit Beziehungsgeflechten – an jeder beliebigen Stelle auf Knopfdruck eine FMEA erzeugt wird, sorgt gerne für leuchtende Augen, bleibt jedoch ein infantiler Traum. Nebenbei: Wenn die Schritte drei und vier, also die Vernetzungen, keine belastbaren Resultate nach sich ziehen, ist dieses den darauf aufbauenden Steps „Evaluierung“ und „Optimierung“ gleichermaßen abträglich. Gegebenenfalls sind Bewertungen und Maßnahmen auf Sand gebaut. Das vorliegende Konzept stellt die Betrachtungsrichtung von induktiv zu deduktiv auf den Kopf und ist kontraproduktiv zum „Scoping“, der notwendigen Beschränkung auf das Wesentliche. Deshalb macht es Sinn, Auswirkungen von Ausfallarten auf Basis von Teileverwendungsnachweisen und mehrstufigen Checklisten, angelehnt an die „Anticipatory Failure Detection“, kontextbezogen und zielgerichtet zu ermitteln, anstatt als ungefilterte Kopie vorab erstellter Fehlerverflechtungen. Warum? Weil eine Gefährdung objektiv betrachtet weitaus mehr als eine nicht erfüllte Sollfunktion ist und somit die alleinige Orientierung an der Funktion fatal wäre. Die Ursachenidentifikation erfolgt aus den genannten Gründen in CIMOS stets bezogen auf die Fokusebene unter Einsatz von 7M- und Ishikawa-Methodik. Da halten wir standhaft an Bewährtem fest. Und das ist heutzutage leider schon ein Novum.

HAVLICKOVA: Klingt jedoch unterm Strich nach „altem Wein in neuen Schläuchen“.
IRMLER: Sind nicht die ältesten Tropfen die edelsten und exquisitesten? Die perfekten Begleiter für eine Nouvelle Cuisine in Spitzenqualität. Im Ernst: Nachdem die FMEAs in CIMOS zu jedem Systemelement in sich konsistent und aus der Strukturvorlage herauslösbar sind, lassen sie sich problemlos in artverwandten Produkten und Prozessen wiederverwenden. Ein modulares Baukastensystem mit austauschbaren Standard-FMEAs wird realisierbar. Hierin liegt der wahre Rationalisierungseffekt für den Bearbeiter. Die Masse der Anwender werden zum Einsatz der post-praktikablen „Sechs Schritte“ gedrängt. Will sich ein Zulieferer leistungsgerecht für ein anders aufgebautes System entscheiden, wird umgehend die Compliance Keule hervorgeholt und damit gedroht, doch bitte das empfohlene System zu nehmen, wegen des Datenaustausches und „überhaupt“, sonst gebe es beim nächsten Audit Minuspunkte. In einem weiträumigen Lobby-Umfeld hat sich eine regelrechte Beratungs- und Coaching-Industrie etabliert, die inzwischen sehr gut vom künstlichen Hype um die Sechs Schritt Methode lebt. Mit im Propagandaboot der FMEA Meinungsmonopole sitzen dann noch die mit Großunternehmen kooperierenden Universitäten, die sogenannte „freie Lehre“, getreu dem Motto: „Wes brot ich ess‘, des Lied ich sing’“.

HAVLICKOVA: Was für ein fulminanter Rundumschlag. Sie scheinen sich in der Rolle des Michael Kohlhaas zu gefallen.
IRMLER: Konstruktive Kritik an Alleinansprüchen ist kein blindes Anrennen, sondern – hoffentlich – ein Stimulus für die Neubesinnung, die berechtigte Infragestellung eines verordneten Denkkorsetts. Wir müssen wieder lernen, mit pragmatischen Lösungen nah am Kunden zu bleiben, in disruptiven Zeiten.

HAVLICKOVA: Wie sieht die Zukunft der FMEA aus?
IRMLER: Schwierig zu beantworten. Weitere Fehlentwicklungen wie bisher dürfen wir uns nicht mehr leisten. FMEA Applikationen sollen keine akademischen Spielereien aus dem Elfenbeinturm sein, keine weltfremden Theoriegebäude, die sich als Kartenhäuser im Sturm des Tagesgeschäftes erweisen. Um vor dem Hintergrund zunehmender Arbeitsverdichtung die Beteiligten an FMEA-Projekten bei der Stange zu halten, benötigen wir gebrauchstaugliche Werkzeuge für den betrieblichen Alltag.

HAVLICKOVA: Herr Irmler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Quelle: MBFG GmbH & Co. KG

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